Dummysport für einen supersensitiven Hund – geht das?

Schnell, supertriebig und geländehart – so sollen Labrador Retriever sein, darum dreht sich alles im Dummysport. Aber Polly ist anders. Zwei absolute Profis haben sie kürzlich unabhängig voneinander als „overly sensitive“ charakterisiert. Was bedeutet das jetzt für uns?

Diese Frage habe ich Dr. Google gestellt. Ich habe nach Definitionen für den Begriff „Sensitivity“ gesucht und wie sich diese Eigenschaft in einem Hund zeigen könnte.

Die meisten Suchergebnisse betrafen hypersensible bzw. hypersensitive Menschen, also Personen, die besonders empfindsam sind, auf Reize außergewöhnlich stark reagieren und öfter als andere Ruhezeiten brauchen. Ganz ähnlich wird Sensitivität auch bei Hunden beschrieben – und das erklärt mir einiges, womit ich in Pollys Dummytraining hadere.

Polly ist eine echte Speedqueen. Wenn sie richtig in Fahrt ist, holt sie kaum einer ein. Also war ich mir sicher, dass sie genau die Hündin ist, die ich mir gewünscht habe: eine kleine Draufgängerin. Eine Hündin, die rennt wie eine Rakete, sich nicht um Brombeersträucher oder Brennnessel kümmert und den Dummy im Sprint zurückbringt. Aber so entwickelte sich die Sache ganz und gar nicht. Immer öfter war Polly langsam und freudlos beim Dummytraining. Das hat mich verrückt gemacht, hilflos und wütend.

Mehr als einmal habe ich mir gedacht, ich gebe auf, ich kann das nicht, ich bin einfach eine schlechte Hundeführerin. Ohne meine Trainerin Monika Schuller und meine so lieben Trainingsfreundinnen hätte ich die Flinte längst ins Korn geworfen. Sie aber haben mich motiviert weiterzumachen und sogar an einem Working-Test teilzunehmen.

Der Working-Test als Gamechanger

Im April 2023 bestand Polly ihren ersten Working-Test. von 31 Hundeteams haben es 13 geschafft und wir waren dabei.

Anfang April 2023 sind wir erstmals bei einem Working-Test angetreten. Richter an unserer ersten Station war Bobby Robertson . Polly hat ihren Retrieve wunderbar gemeistert (19 von 20 Punkten). Als sie wieder bei mir und die Übung vorüber war, hat er sich zu mir gedreht und gesagt:“You´ve got a very sensitive bitch.“ Er hat keine drei Minuten gebraucht, um Pollys Wesen zu erkennen.

Wenige Tage später durften wir an einem Training bei Oliver Kiraly teilnehmen. Er hat Polly fast wortgleich charakterisiert: overly sensitive. Ich muss zugeben, das hat mich beeindruckt. Auch er war glasklar in seiner Analyse.

Nach diesen beiden Begegnungen habe ich begonnen, mich intensiv mit „sensitiv dogs“ zu beschäftigen.

Was bedeutet „sensitiv“?

Wie wir Menschen nehmen natürlich auch Hunde ständig eine Fülle von Reizen gleichzeitig auf – wahrscheinlich noch viel stärker als wir. Denken wir nur daran, wie viel besser sie riechen und hören. Üblicherweise sorgt eine Art Filter im Kopf dafür, dass die Hunde wichtige von unwichtigen Reizen unterscheiden können. Bei sehr sensitiven Hunden funktioniert dieser Filter nicht richtig. Alles scheint gleich wichtig. Die Folge ist eine Reizüberflutung und die wiederum führt zu einem erhöhten Erregungszustand (arousal). Auf erhöhte Erregung können Hunde auf vier Arten reagieren: fight, flight, freeze und fiddle about. Bei fight stellen sie sich der Situation, bei flight laufen sie weg oder ziehen sich zurück, bei freeze frieren sie gewissermaßen ein und bei fiddel about machen sie einfach Unsinn. All das ist Stressabbau, nichts anderes. Polly versucht ihren Stress eindeutig über freeze abzubauen.

Im Rahmen unseres Trainings bei Oliver Kiraly habe ich meine Freundin Agnes, von Beruf Psychotherapeutin und dazu leidenschaftliche Dummy-Sportlerin gebeten, Polly und mich einmal genau zu beobachten, mein Handling, meine Körpersprache, Pollys Reaktionen auf mich und ihre gesamte Umgebung. Neben einigen meiner Körpersignale, die ich ändern kann, ist ihr aufgefallen, wie sehr Polly auf ihre Umgebung reagiert. Sie nimmt alles wahr, was rund um sie passiert. Ist die Umgebung unruhig, fällt es ihr schwer zu fokussieren. Wird ein anderer Hund laut korrigiert, zieht sie sich in ihre safe-zone hinter meinen Beinen zurück.

Oliver Kiraly beschreibt den sensitiven Hund in seinem Buch „The Balance“ so: „…how responsive the dog is to mental stimulus. Problems can occur when a dog is overly sensitive and confronted with challenging situations that put pressure on him. Pressure can be for instance a loud correction, but even external circumstances can create pressure for a sensitive dog (for example standing close to others in the middle of a group of unknown dogs and their handlers). Oversensitivity makes it difficult for him to learn“.

Ob besondere Sensibilität angeboren oder anerzogen ist, ist nicht eindeutig geklärt. Elaine Aron, Pionierin auf dem Forschungsgebiet von Hochsensitivität bei Menschen, meint, dass es sich im Allgemeinen um eine genetisch bedingte Eigenschaft handelt. Bei manchen könnten allerdings Traumata und Dauerstress im Laufe des Lebens zu Hypersensitivität führen. Das wird wohl bei Hunden nicht anders sein.

Wie umgehen mit dieser Hypersensitivität

Ich denke, Polly hat die Veranlagung zu höherer Sensitivität und vieles in ihrem Alltag oder in unserem Training hat auch noch darauf eingezahlt. Aber jetzt, wo ich weiß, wo der Hase im Pfeffer liegt, kann ich ganz anders damit umgehen.

Ein Beispiel: Wenn Polly beim Training so zaudernd gelaufen ist, habe ich immer versucht, sie aufzumuntern, aufzuschaukeln, zu motivieren, ihren Erregungszustand zu erhöhen – nicht wissend, dass ich damit genau das Falsche tu. Sie ist ja eingefroren, weil ihr Erregungszustand zu hoch war, weil sie zu viel Stress hatte – und dann mache ich noch mehr Stress, indem ich sie aufschaukle. Helen Lawler erklärt dieses Missverständnis in ihrem Fenzi-Podcast „how to train sensitive dogs“ sehr schön. Erst durch sie habe ich das verstanden. Polly braucht in diesen Situationen nicht noch mehr Aufregung, sondern vielmehr Entspannung, um sich wieder konzentrieren zu können.

Ein anderes Beispiel ist ihre Positionierung in einer Trainingsgruppe. Zwei Tage lang haben wir mit zwei wunderbaren Rüden im gleichen Alter trainiert. Um Zoff zwischen den beiden Rüden zu vermeiden, haben wir Polly in die Mitte gesetzt. Sie, die empfindsamste unter den Dreien wurde zum Prellbock gemacht. Was für ein Fehler. Mit dem heutigen Wissen würde ich das nicht noch einmal machen.

Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich Bobby, Oliver und Agnes bin, dass sie mir innerhalb einer Woche so deutlich gezeigt haben, warum unser Training läuft wie es läuft. Sie haben mir die Augen geöffnet. Mit einem Mal sehe ich so viele Situationen, die Polly stressen und kann mir überlegen, wie ich diese Situationen manage.

Auch wenn erhöhte Sensibilität keine Krankheit, sondern nur eine Eigenschaft ist, fühlt es sich doch so an, als hätte ich eine Diagnose und könnte mich nun an die Therapie machen. Wahrscheinlich wird Polly aufgrund ihrer mentalen Konstitution nie in die Oberliga des Dummysports aufsteigen, aber das spielt keine Rolle.

Your job is to fall in love with the process, not grade the outcome.

James Clear, Atomic Habits

Wichtig ist, dass wir Freude am Dummysport haben und gemeinsam an unseren Herausforderungen wachsen. Für uns beginnt eine neue Reise und ich werde gerne davon erzählen. Schritt für Schritt, auch wenn wir uns ab und zu verirren. Fehler gehören zum Lernen dazu.

So wie der Austausch mit Gleichgesinnten. Also, wenn du dich auch mit „sensitive dogs“ beschäftigst, hinterlasse gerne einen Kommentar oder schreib mir. Ich freu mich darüber.

 

Autor: Susanne Senft

Mein Name ist Susanne Senft. Ich wohne in Wien und im Waldviertel mit meiner Familie und zwei Labrador-Damen.

2 Kommentare zu „Dummysport für einen supersensitiven Hund – geht das?“

  1. Sehr schön geschrieben! Ja, einen sensiblen Hund zu haben ist toll!!! Wenn man gelernt hat, wie sie „ticken“ und darauf eingeht, erfährst du so eine innige Beziehung. Ich kenne das zu gut 🙂

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